Namen wie Asaf Avidan & The Mojos oder Philipp Poisel führen die aktuellen Hitparaden an. Nie gehört? Kein Wunder, die Hitparaden sind mittlerweile so aussagekräftig wie das Telefonbuch von Peking.Von Christina Hoffmann
Arm ist unsere Welt derzeit wirklich nicht an Absurditätenranglisten, egal welcher Art. Die wohl prominenteste Bewertung von Nischeninteressen sind dabei die Charts.
Die Musikcharts oder, etwas altmodisch betulicher formuliert, die Hitparade, hören sich zunächst einmal nicht besonders obskur an, eher seriös. Denn sie sind eine wertende Informationssammlung: ein Ranking und Rating der aktuell verfügbaren Tonträger. Die Charts sind folglich ein Konglomerat aus verschiedenen Zahlen. Dazu zählen physische Verkäufe, CDs und Schallplatten ebenso wie Downloads oder wie oft ein Song im Radio läuft.
Das klingt erst mal sehr übersichtlich und klar. In der Realität, im Leben, gestaltet sich das aber zum Beispiel so: Die Gruppe um den israelischen Folk-Rock-Musiker Asaf Avidan, die sich Asaf Avidan & The Mojos nennt, ist derzeit auf Platz eins der Single-Charts, während "Dark Roots of Earth" ziemlich hoch in den Album-Charts eingestiegen ist und die "Euro Top 100 Charts" ein gewisser Gusttavo Lima anführt.
Ihre Deutungshoheit eingebüßt
Und dass die Namen der Künstler einem bisweilen so viel sagen wie der Name eines russischen Dorfes, liegt nicht an Alter, Desinteresse oder Bildung, sondern daran, dass die Charts ihre Deutungshoheit eingebüßt haben. Heute sagt eine gute Platzierung nicht mehr besonders viel aus – die Zahl, um auf die Nummer eins zu gelangen, ist bekanntermaßen viel kleiner als noch in den Neunzigerjahren. Von den Siebzigern und Sechzigern brauchen wir gar nicht erst anfangen.
Seien Sie also völlig unbesorgt: Es macht nichts, wenn Sie nicht wissen, ob man Philipp Poisel nun Französisch oder Bayerisch ausspricht. Und es macht auch gar nichts, wenn man Sido immer wieder mit Bushido verwechselt. Und weil die Charts heute oftmals so, nun ja, einigermaßen arbiträr wirken, macht einfach jede und jeder heute eigene Listen, natürlich in Nachahmung der zunehmenden Vernischung der Popmusik.
Sexiest Frauen in Indie-Bands
Selbst stets um political correctness bemühte öffentlich-rechtlich finanzierte Szenemagazine etwa fragen nach den zehn sexiesten Frauen in Indie-Bands, wie kürzlich der "Zündfunk" im Bayerischen Rundfunk. Eine weitere Liste, die diese Welt nicht braucht und bisher ja auch gar nicht vermisst hat, in diesem Moment vermisst oder überhaupt je vermissen wird.
Die Frage ist und bleibt: Wo soll dieser ganze Bewertungs- und Sortierungswahn denn eigentlich enden? Natürlich so: "Und jetzt noch die ewigen Top 5 meiner unvergesslichsten Trennungen." Das Zitat stammt aus Nick Hornbys "High Fidelity", jenem auf dem gleichnamigen Buch basierenden Nerdfilm aus den und über die Hochzeiten der Musikindustrie. Und das ist ein ganz guter Schluss. Denn ungefähr so aussagekräftig wie eine solche Aufzählung über die persönliche Schluss-Mach-Biografie Hornbys erscheinen einem die Musikcharts heute oft.
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